Salsa

14.09.2017

Von Deutschen wird ja behauptet, dass sie nichts ohne einen Plan machen … und ja, ich muss zugeben, dass ich auch einiges im Voraus geplant habe. Zum Beispiel habe ich vorher einen ungarischen Kollegen gefragt, ob er nicht Lust hätte, mir Salsa beizubringen. Er hatte mir davon erzählt, dass er seit mehr als einem Jahr Salsa tanzen lernt.

Als ich dann am Donnerstag meinen ersten Tag bei TKP hatte, kam er gleich auf mich zu. „Möchtest du noch Salsa tanzen lernen? Heute Abend ist eine Probestunde.“ Das war eine schöne Überraschung. Ich bin einfach wie er gleich bis um sieben Uhr im Büro geblieben und dann hat er mich mit zu der Tanzschule genommen, in der seine Cousine und ihr Freund den Tanzkurs hielten.

Dort wird kubanischer Salsa getanzt. Jetzt muss ich also auch noch ein bisschen Spanisch lernen, denn die verschiedenen Schritte haben alle spanische Namen. Aber das eigentlich Schöne an dem Tanzkurz ist, dass ich nur unter Ungarn bin. Der Salsa ist ein Kreistanz, in dem man ständig seinen Tanzpartner wechselt und so habe ich schon mit zehn Ungarn getanzt. Wer kann das nach einer Woche im Ausland schon von sich behaupten.

Und die Worte für rechts (jó) und links (bal) vergesse ich wohl auch nie mehr. Auch wenn ich nicht viel von dem verstehe, was mir meine Tanzlehrer da erklären, das Wichtige bekommt man bei so einem Tanzkurs immer mit. Es war ein sehr schöner Abend und ich habe mich gleich fest angemeldet.

Erste Kontakte

12.09.2017

Kontakte habe ich ja schon vorher geschlossen – im Wesentlichen mit den drei Kollegen, mit denen ich viel zusammenarbeite (oder zusammen gearbeitet habe). Heute hat mich Zsolt mitgenommen auf eine Geburtstagsfeier. Dort waren nur Leute von TKP, wo ich arbeite. Zsolt hat mich einigen Mitarbeitern vorgestellt und ich habe ein paar Brocken ungarisch ausprobiert.

Eine der Fragen war: „Wie sind wir Ungarn?“ Ich wollte auf englisch sagen, dass ich sie sehr herzlich und nett finde. Aber mir fallen die ganzen richtigen Wörter nicht ein. Gruselig! Ich darf gar nicht verraten, was ich gesagt habe, das Wort gibt es gar nicht. Aber sie haben mich trotzdem verstanden.

Nur haben sie mir nicht so recht geglaubt. „Du kannst ruhig ehrlich sein!“, meinten sie. Ja, das war ich ja. Die Menschen, mit denen ich bisher Kontakt hatte, sind immer sehr herzlich und offen zu mir gewesen. Und an diesem Abend war es auch wieder so. Zum Schluß habe ich sogar von einem meiner neuen Bekannten zwei Puszi bekommen. Das spricht man „Pußi“ und sind zwei Küsschen auf die Wangen. Also doch heartful 😀 !

… bin ich wirklich da?

09.09.2017 und 10.09.2017

Wenn man so an seinem ersten Abend einen Spaziergang macht, die Donau begrüßt, die Gebäude begutachtet, ein Gefühl für die Geräusche und Gerüche der Stadt bekommt, den warmen Spätsommerabend genießt, fragt man sich schon manchmal: „Ist das jetzt alles Wirklichkeit?“ Ich kann es kaum fassen, dass ich jetzt insgesamt ein halbes Jahr hier sein werde. Wie verrückt bin ich eigentlich, mich auf so ein Abenteuer einzulassen? Ich habe meine ersten Brücken besucht, das Freiheitsdenkmal, bin auf einen Berg geklettert, der gleich bei mir ums Eck ist und musste dabei feststellen, dass im letzten halben Jahr meine Kondition ganz schön gelitten hat. Meine Orientierung auf der Budaer Seite ist schon ganz gut. Ich war ohne Karte – ohne Reiseführer – ohne Handy unterwegs und ich bin ohne große Umwege wieder zu Hause gelandet.

Insbesondere die Geräusche haben mir Sorgen gemacht. Von früheren Aufenthalten hier wusste ich, wie laut die Stadt ist. Aber ich habe eine ganz gute Wohnlage erwischt. Es ist nicht superruhig, aber mein Schlafzimmer liegt nach hinten raus. Hinter dem Haus ist ein Garten mit Bäumen, vorne habe ich ein großes Südfenster und vor dem Fenster spricht mit mir ein Baum, der sich genüßlich im Wind wiegt.

Seine Sprache versteh ich zwar noch weniger als das Ungarische, aber er hat mich herzlich begrüßt und beim Tee Trinken betrachte ich seine Äste.

Überhaupt hat mich die Natur schon willkommen geheißen. Bei einer kleinen Wanderung auf einen der Budaer Berge hat mich ein Dorn zur Begrüßung in den Finger gestochen, meinen Blutzoll habe ich also auch schon geleistet. Dafür wurde mir eine schönen Dämmerungsstimmung im Wald beschert und als wir den Berg wieder hinabstiegen, erstrahlte Budapest gerade in seinem eigenen Glanz. Die Lichter glitzerten und blinkten im frühen Abend.

Abflug …

09.09.2017

Nun bin ich also da, in Budapest. Und es ist schon sooo viel passiert. Heute morgen bin ich am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden in den WIZZ Air Flieger gestiegen. Um mich herum klang schon das Ungarische von vielen Fluggästen und vom Luftpersonal. Trotz des trüben Wetters konnte ich noch einen letzten Blick auf den Rhein erhaschen, den ich nun gegen die Donau eintauschen würde. Bald verschwand der Schwarzwald unter den dichten Wolken.

Tief Durchatmen, Loslassen. Abschied. Meine Reiselektüre war ein kleiner Sprachführer, eigentlich das erste Ungarisch-Lehrbuch, dass ich mir schon vor Jahren gekauft habe. Und was habe ich nachgeschlagen?

Über den Wolken … – Felhők fölött

Bald klarte das Wetter auf und ich konnte den größten Teil des Fluges beobachten, wie die Donau immer breiter wurde. Dann kam der große Donaubogen in Sicht und mit ihm die Stadt Budapest, die wir nördlich überflogen. Leider war mein Fenster nach Norden ausgerichtet, so dass ich nicht die vielen Brücken über die Donau bewundern konnte. Im Osten der Stadt gibt es riesige Friedhöfe, ein Grab reiht sich an das andere, dann kommt wieder ein kleines Waldstück und noch ein Friedhof und noch einer. Um Punkt 10 Minuten vor 10 berührte das Flugzeug die Piste des Budapester Flughafens und 7 Minuten später mein Fuß die ungarische Erde. Ja, ich habe auf die Uhr geschaut. Es war warm und sonnig. Die Luft roch nach … dem Gestank der Flugzeuge. 😀

Im Flughafen musste ich dann feststellen, dass mein Handy sich weigerte, Verbindung mit einem Telefonprovider aufzunehmen. Also hatte ich meine erste Quest zu bestehen, ich musste ein Münztelefon finden. Tatsächlich gab es sogar eins, das auch Euro akzeptierte und direkt daneben waren ein paar Bankautomaten, bei denen ich mir gleich mein erstes ungarisches Geld besorgte. (Abgesehen von den 6000 Forint, die mir ein Kollege von einer früheren Fahrt geschenkt hatte.)

Nachdem ich mich bei meinem Vermieter angemeldet hatte, schnappte ich mir ein Taxi und lies mich bis vor die Haustür kutschieren. Dachte ich zumindest. Leider fand ich an der Haustür Nummer 22 nicht den Namen von meinem Vermieter. Aber jemand verließ das Haus und ich stellte mich kurzerhand als neue Nachbarin vor und gelangte so ins Haus… ich wusste ja, wo ich hin muss. Zwei schwere Koffer und ein Handgepäck sind schon ein bisschen unhandlich. Das merkt man, wenn man versucht, damit durch eine Haustür, über zwei Treppen zu einem kleinen Fahrstuhl zu gelangen… und dann in den Fahrstuhl hinein, aus dem gerade ein alter Herr ausstieg.

Im dritten Stock angekommen stellte ich fest, dass meine Wohnung am ganz anderen Ende vom Haus liegt. Außerhalb verbindet eine Galerie auf jeder Ebene die Wohnungen. Später stellte sich heraus, dass ich eigentlich in der Hausnummer 24 oder vielleicht auch 26 wohne. Egal, ich bin angekommen und wurde herzlich von meinem Vermieter und seiner Mutter in Empfang genommen.

Sie sind total lieb und hatten alles wunderbar für mich vorbereitet. Es war wie in ein Appartment in einem Hotel anzukommen. Die Küche ist eingerichtet, sie hatten sogar für mich etwas eingekauft. Als erstes musste ich lernen, dass man sich in Ungarn am Eingang die Schuhe auszieht. Im Flur gibt es auch papucsok (Hausschuhe) für die Gäste, also ich habe drei Paar. Manchmal vergesse ich trotzdem noch, meine Schuhe gleich auszuziehen, obwohl wir das im Winter zumindest ja auch immer machen. Übermorgen wird der Techniker, der in meine Wohnung kommt, sogar seine eigenen Plastik-papucsok dabei haben, die er über seine Straßenschuhe zieht.

Um wenigstens telefonieren zu können und ein bisschen Internet zu haben, sind Gábor (mein Vermieter) und ich losgezogen und haben eine Telefonkarte für mich gekauft. Dabei stellte sich heraus, dass das geschenkte Geld veraltet ist. Wir sind also auf eine Post gegangen und haben die alten Banknoten gegen neue eingetauscht.

Blick aus dem Wohnzimmerfenster

Ei

06.09.2017

Die Hände gepresst an die Wand.
Der Blick gleitet aufwärts – endlos.
Wo ist der Raum, der hier einmal war.
Wo die Wärme, das Licht?
Die Finger ertasten den rauhen Kalk.
Sie gleiten nach oben. Und hinter mich.
Enge. Die Wand ist rund.

Eingesperrt in einem Ei.
Die Zeit ist reif. Bald werde ich schlüpfen.

A madár

03.09.2017

Kézben tartok egy kicsi madárfiókát.
Jött mint a tavasz jön –
Csendesen és hirtelen itt volt.
Szemecskék mustráltak engem.
Ugrándozott, a kezembe ugrott.
És hevesen vert a szívem az örömömben.

Köszi Zsolt és Robi a segitségeiteket

Leidenschaft durch Zusammenarbeit

Das Wort Zusammenarbeit beinhaltet zwei Teile: „Arbeit“ und „Zusammen“.

Arbeit für sich macht mir meistens schon viel Spaß. Ich liebe es mich tief in ein Thema einzuarbeiten, und weitere Zusammenhänge mit anderen Themen zu erkunden – und dabei etwas zu erschaffen.

Noch mehr liebe ich es, wenn ich dabei mit jemanden zusammen arbeiten kann. Wenn wir gemeinsam die Abgründe durchschreiten und detailverliebt das Werk gestalten.

Im Laufe meines Lebens habe ich schon mit vielen Leuten gearbeitet. Zu jedem Menschen habe ich eine in jeder Weise eigene Beziehung aufgebaut. Manchmal sind diese Beziehungen nur sehr schwach ausgeprägt. Die Wege zu dem anderen sind schwer zu überwinden. Und manchmal ist es wie mit einer neuen Erfahrung. Man macht sie und sie brennt sich innerhalb kürzester Zeit tief in das Hirn ein. Oder wie mit einer gut gelernten Vokabel: man teilt so oft seine Gedanken und Ideen, dass eine tiefe Vertrautheit entsteht.

Wenn ich auf solche Menschen treffe, ist die Arbeit am Schönsten. In diesen Projekten entsteht Leidenschaft. Und auch wenn ich mit den Menschen später nicht mehr zusammen arbeite, weil wir in ganz unterschiedlichen Projekten landen oder das Projekt beim Kunden zu Ende ist, bleibt doch diese besondere Verbindung erhalten und flackert mit jedem Blick und Wort, das man wechselt, mit jedem Gedanken an den anderen neu auf.

Das gleiche Ziel aus zwei Richtungen ansteuern

Es war einmal die Idee, dass der eine den Code schreibt und der andere den Code testet. Schöne Welt des V-Modells. Ich habe in vielen Projekten mal die eine und mal die andere Seite erlebt. Meistens hat man als Tester den Frust, dass man zwar viele oder zumindest einige Fehler findet, der Programmierer aber schon längst an einer anderen Ecke arbeitet und gerade gar keine Zeit für alte Bugs hat. Im modernen Fachjargon nennt man das auch technical dept. Dafür brauchen wir dann Jira und mindestens 10 Minuten, wenn nicht sogar länger, um diese Bugs unvergesslich zu machen.

Die agile Welt verspricht da Abhilfe. Aber:

Interessanterweise haben es viele Projekte in unseren Regionen geschafft, sich agil zu nennen, obwohl sie immer noch nach dem V-Modell arbeiten. Im ersten Sprint werden Requirements gemacht, dann gibt es vielleicht ein Konglomerat von Design und Entwicklung. Und wenn die Entwickler ihren Sprint fertig haben, dann können die Tester einen Testsprint auf das entwickelte Zeug hinlegen.

Da besteht wohl ein heftiges Missverständnis. Dieses Vorgehen verletzt eines der grundlegendsten Prinzipien der agilen Software-Entwicklung und die Beteiligten sind sogar noch stolz darauf. Es geht um das Prinzip, dass am Ende jedes Sprints ein lieferbares Produkt steht. Und ein Produkt ist auch gemäß V-Modell erst lieferbar, wenn der Test erledigt ist. Andere Projekte führen dafür irgendwann die „Null-Bug-Policy“ ein. Komisch eigentlich, denn das sollte doch in meinen Augen selbstverständlich sein. Denn ist fertig fertig, oder wollen wir unseren Test beim Kunden machen?

Vor allem entgeht allen Mitarbeitern eine echt tolle Erfahrung, die ich in (mindestens) einem unserer Projekte machen konnte – und das obwohl wir uns nicht „agil“ schimpften (denn das waren wir noch lange nicht). Wir haben unsere Arbeit auch in kleine Pakete aufgeteilt, dynamisch entschieden, welche Pakete wir zuerst bearbeiten und die Rollen aufgeteilt. Ein Kollege hat die Integrationstests übernommen und die Entwickler konnten ihre Modultests jeder nach seinem Geschmack selber gestalten. Der Tester entwickelte gleichzeitig mit uns die Integrationstests. Er wusste ja auch, was am Ende rauskommen sollte. So hatten wir eigentlich immer zur gleichen Zeit die Tests und den Code fertig. Wenn wir beide soweit waren, haben wir uns gleich zusammengesetzt, die Tests laufen gelassen und gemeinsam nach den Fehlern gesucht. Und zwar sowohl in den Tests als auch im Code. Denn jeder schreibt Bugs. (Frei nach James Grenning)

Es gab mehrere Dinge, die daran toll waren. Erstens war es unsere gemeinsame Arbeit. In der klassischen Rollenaufteilung gerät man oft in ein Gegeneinander. Zweitens war ich gerade bei meinem Code im Saft und wenn der Test einen Fehler geliefert hat, war es sehr leicht, die Ursache zu finden. Drittens haben wir dabei nebenbei Code- und Testreviews gemacht.

Bekanntermaßen finden man neben einem Fehler gleich noch ein oder zwei andere. Das liegt daran, dass es Phasen gibt, in denen man nicht so konzentriert arbeiten kann und dann macht man eben mehr Fehler auf einmal. So konnten wir gleich noch ein kleines Refactoring machen und uns sind dabei noch fehlende Testfälle eingefallen. Wichtig für Regressionstest. Wir hatten ein gutes Gefühl, dass der Code so passt, weil wir auch an einige Sonderfälle gedacht haben.

Und es hat einfach tierisch Spaß gemacht. Wir beide haben gemerkt, wie wichtig die Aufgabe des anderen ist. Wir konnten uns direkt gegenseitig unsere Anerkennung und Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Und das haben wir uns doch auf unsere Fahnen geschrieben, oder?

Ruf an!

Was ist weit weg?

„Was heißt noch mal Tschüß auf ungarisch? War das Szio?“ „Wie? Nein Szia!“ „Und wenn man mehreren Leuten Tschüß sagt?“ Verwundertes Zögern – dann: „Sziastok“. Ein kleiner Stein mehr im Brett. „Du sollst endlich Wochenende machen“, kommt aus Budapest. „Mach ich doch. Ich steppe zwischen den Mails.“

Was macht Zusammenarbeit wirklich aus? Die räumliche Nähe ist es nicht. Zumindest heutzutage nicht mehr. Wenn ich den ganzen Tag mit meinem Kollegen aus Ungarn telefoniere, chatte und maile, verbringe ich subjektiv mehr Zeit mit ihm als mit meinem Gegenüber, der in einem ganz anderen Projekt unterwegs ist. Per Teamviewer kann man gemeinsam die Modelle oder den Code diskutieren. Es gibt Jenkins-Server, auf denen man zusammen die Compilierungsergebnisse anschauen kann.

Der wirklich entscheidene Punkt aber ist das persönliche Gespräch. Bei mir dauert es immer ein bisschen, bis das Eis gebrochen ist und ich mich überwinde, zum Telefonhörer zu greifen. Ich liebe es, Mails zu schreiben, man kann sich Zeit lassen beim Formulieren, man kann alle wichtigen Punkte ordentlich auflisten und vergisst dann auch nichts.

Aber die letzten Jahre und Projekte haben gezeigt, dass Mail sehr uneffektiv ist. Oft wird nur die erste Frage beantwortet oder mir geht es oft so, dass ich eine Mail auf meinem Smartphone lese, wo ich sie nicht bearbeiten kann – und dann vergesse.

In meinem jetzigen Projekt hat es fast ein halbes Jahr gedauert bis das verbindende Telefongespräch kam. Und kaum telefoniere ich öfter, merke ich, wie die Zusammenarbeit auflebt. Es ist fast so, als würden wir nebeneinander sitzen.

Der unangenehme Sitznachbar

Wer viel mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, kann schon einiges erleben. Gestern saß ich in der Bahn, als ein etwas schmuddeliger Mann fragte, ob der Platz noch neben mir frei sei. Ich grinste ihn breit an und sagte: „Ja klar!“

Er roch komisch und hatte einen komischen braunen Flaum auf der Nase. Ich fragte mich, ob das eine Krankheit ist. Der Mann startete ein Gespräch und beugte sich beim Sprechen immer vor und zurück. Wobei er mir manchmal unangenehm nah kam. Sein Bart war an der Lippe gelblich-braun, aber ein bestimmter Ausdruck erinnerte mich an eine Person, die mir sehr vertraut ist. Und ein anderer an eine andere nahestehende Person.

Ich ignorierte die Speicheltröpfchen auf meiner Schulter und versuchte mit dem Mann im Gespräch zu bleiben.

„Der Teufel hat mich geholt!“ waren seine Worte. Es stellte sich heraus, dass er seit längerem in psychatrischer Behandlung ist und nun in einem Wohnheim wohnt und versucht sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Die Zeit ist uns bekannt und fremd.“ meinte er. „Und mal vergeht sie gar nicht, dann verflucht man sie, und dann ist sie gleich verflogen.“

Auf halben Weg fing er an in seiner Tasche zu kramen und holte ein kleines Päckchen raus. „So, ich genehmige mir jetzt erst mal eine Prise.“ Und sorgfältig platzierte er auf seiner Hand zwei kleine Häufchen Schnupftabak. Dann fing er wieder an etwas zu erzählen und da ich ihm zuhörte, vergaß er ganz seine Häufchen.

Ich erinnerte ihn daran und er meinte: „Vor lauter Reden habe ich meine Prise vergessen.“ Dann schnupfte er sie lautstark, so dass durch die anderen Mitfahrer ein Hauch von Empörung ging. Jetzt wusste ich, woher der braune Flaum und der unangenehme Geruch kam. Und der gelblich-braune Lippenbart.
Er putzte sich etwas auf der Nase herum und ich half ihm, indem ich ihm sagte, wo noch Tabak auf der Nase ist.

Dann fischte er seine Wasserflasche heraus mit den Worten „Jetzt genehmige ich mir erst mal einen Klaren.“

Sage noch einer, dass verwahrlost wirkende Menschen keinen Stil haben. Nachdem er die Flasche geöffnet hat, fing das Kramen nochmal an und er zauberte ein großes Wasserglas hervor, aus dem er sein Wasser mit lauten Schlücken trank.

„Du musst wieder einpacken“, erinnerte ich ihn, denn wir fuhren gerade in unseren Zielbahnhof ein. Wir winkten uns noch einmal zu und schon war ich um eine kleine Geschichte ihn meinem Leben reicher.