Der unangenehme Sitznachbar

Wer viel mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, kann schon einiges erleben. Gestern saß ich in der Bahn, als ein etwas schmuddeliger Mann fragte, ob der Platz noch neben mir frei sei. Ich grinste ihn breit an und sagte: „Ja klar!“

Er roch komisch und hatte einen komischen braunen Flaum auf der Nase. Ich fragte mich, ob das eine Krankheit ist. Der Mann startete ein Gespräch und beugte sich beim Sprechen immer vor und zurück. Wobei er mir manchmal unangenehm nah kam. Sein Bart war an der Lippe gelblich-braun, aber ein bestimmter Ausdruck erinnerte mich an eine Person, die mir sehr vertraut ist. Und ein anderer an eine andere nahestehende Person.

Ich ignorierte die Speicheltröpfchen auf meiner Schulter und versuchte mit dem Mann im Gespräch zu bleiben.

„Der Teufel hat mich geholt!“ waren seine Worte. Es stellte sich heraus, dass er seit längerem in psychatrischer Behandlung ist und nun in einem Wohnheim wohnt und versucht sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Die Zeit ist uns bekannt und fremd.“ meinte er. „Und mal vergeht sie gar nicht, dann verflucht man sie, und dann ist sie gleich verflogen.“

Auf halben Weg fing er an in seiner Tasche zu kramen und holte ein kleines Päckchen raus. „So, ich genehmige mir jetzt erst mal eine Prise.“ Und sorgfältig platzierte er auf seiner Hand zwei kleine Häufchen Schnupftabak. Dann fing er wieder an etwas zu erzählen und da ich ihm zuhörte, vergaß er ganz seine Häufchen.

Ich erinnerte ihn daran und er meinte: „Vor lauter Reden habe ich meine Prise vergessen.“ Dann schnupfte er sie lautstark, so dass durch die anderen Mitfahrer ein Hauch von Empörung ging. Jetzt wusste ich, woher der braune Flaum und der unangenehme Geruch kam. Und der gelblich-braune Lippenbart.
Er putzte sich etwas auf der Nase herum und ich half ihm, indem ich ihm sagte, wo noch Tabak auf der Nase ist.

Dann fischte er seine Wasserflasche heraus mit den Worten „Jetzt genehmige ich mir erst mal einen Klaren.“

Sage noch einer, dass verwahrlost wirkende Menschen keinen Stil haben. Nachdem er die Flasche geöffnet hat, fing das Kramen nochmal an und er zauberte ein großes Wasserglas hervor, aus dem er sein Wasser mit lauten Schlücken trank.

„Du musst wieder einpacken“, erinnerte ich ihn, denn wir fuhren gerade in unseren Zielbahnhof ein. Wir winkten uns noch einmal zu und schon war ich um eine kleine Geschichte ihn meinem Leben reicher.

Autor: Barbara Seyfarth

Informatikerin Embedded Systeme (Automotive, Industrial Solutions) Safety + Security Certified Professional for Software Architecture (Advanced Level) Autorin