Bella passeggiata

21.08.2019

Der Morgen hat hier so seine eigenen besonderen Geräusche. Erst fangen zwei Hähne an zu krähen und etwa eine halbe Stunde später besuchen zwei Elstern unseren Hof und machen jeden Morgen ein Riesengezeter. Heute stecke ich mal nicht meinen Kopf unter das Kopfkissen, sondern mache mich auf auf einen Morgenspaziergang. Die Dorfbewohner sind natürlich schon längst wach. Die Nachbarin, die gerade ihren Teppich ausklopft, wünscht mir eine „bella passeggiata“. Mein Ziel ist der Turm, allerdings mit einem kleinen Umweg durch den Wald an den Hängen des Berges entlang. Man sieht kaum bis zum nächsten Hügel, so dicht ist der Dunst, aber auch hier schallt weit über das Tal das Krähen der Hähne.

Torre Medievale di San Giorgio Scarampi

Der Spaziergang wäre zu schön, wenn mich nicht die ganze Zeit lästige Bremsen umschwirren würden. Zum Glück habe ich wenigstens meine Jacke mit langen Ärmeln, die ich dann auch anlasse, obwohl mir bald ziemlich warm wird. Das Dorf ist nicht groß, es sind vielleicht zwanzig oder dreißig Häuser die sich zu dem Turm gesellen. Die Leute sind freundlich und antworten mir auf meine Guten-Morgen-Grüße. Das Licht der aufgehenden Sonne tunkt alles in einen goldenen Schimmer.

Die Treppe zum Turm

Ein Mann steht an einer Brüstung und schaut entspannt ins Tal und auf die Arbeiten, die etwas tiefer an der Straße stattfinden. Auf dem kleinen Platz unter dem Turm sind einige andere Männer schon rege. Sie klappern mit Metallstangen herum. Einer der Männer fragt mich, ob ich hier am Ort sei und ich antworte mit „Si“. „El cucco?“ „Si si!“ Ja, so heißt unser Haus. Der Mann zeigt mir ein Plakat. Am Sonntag findet hier ein Fest statt. Es gibt Essen und sie bauen gerade die Zelte auf. Wir müssen unbedingt kommen. Leider fällt mir nicht ein, was „Wir kommen“ heißt, also sage ich es einfach auf Deutsch. Und ein Grazie dazu. Noch ein paar Spaziergänge und dann werden wir von den Dorfbewohnern adoptiert.

Blick über das Dorf

Babel – Non parlo italiano

20.08.2019

Schon bei der ersten Begegnung mit Italienern habe ich meine Entscheidung verflucht, die ungarische Grammatik einzupacken statt die italienische. Ich hatte eigentlich nicht geplant, mein Italienisch aufzufrischen. Wie dumm, denn viele Italiener sprechen fast kein Englisch und höchstens etwas Französisch. Also bin ich ständig damit konfrontiert, meine paar Brocken Italienisch zusammen zu klauben und Gespräche mit dem Gärtner unseres Vermieters, dem Barista oder dem Ladenbesitzer zu führen. Am Anfang sind mir immer nur die ungarischen Vokabeln in den Kopf geschossen, aber nach zwei Tagen Übung fällt mir wieder automatisch grazie statt köszi und gelati statt fagyi ein. Und ich bin erstaunt, wie viel ich von dieser Sprache verstehe. Komischerweise habe ich weniger Hemmungen Italienisch zu sprechen als Ungarisch, obwohl mein Ungarisch mittlerweile viel besser geworden ist. Aber das gibt mir auch Hoffnung, dass das bald anders sein wird. Flexibilität ist alles.

Il mare – Nicht nur Fett schwimmt oben

19.08.2019

Es ist kurz vor Mittag an einem faulen zweiten Urlaubstag. Jens steht vor mir und sagt: „Ich will ans Meer fahren!“ Dieser unbremsbar hohen Motivation kann man nichts entgegensetzen, also sitzen wir eine gute Stunde später im Auto auf dem Weg zum Meer. Wir haben auf der Landkarte einen kleineren Strand ausgewählt, der außerhalb eines Ortes liegt, denn da ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass nicht ein Liegestuhl neben dem anderen steht. Wir haben Glück. Bei unserer Ankunft fährt gerade ein Auto weg und wir müssen nicht nach einem Parkplatz suchen. Tatsächlich kann man zwar Sonnenschirme und Bötchen mieten, aber der Strand ist nicht so überlaufen, dass wir wie die Heringe nebeneinander liegen.

Und das Meer ist herrlich. Gerade so warm, dass man ewig darin schwimmen kann. Wir haben auflandigen Wind und hohe Wellen, so dass auch ein gewisser Fun-Faktor dabei ist.

Am Meer

Wenn ich so im Meer schwimme, mich mühselig durch die Wellen kämpfe und dabei beobachte, wie die Brandung an die Felsen schlägt und hochspritzt, wird mir bewusst, wie gewaltig das Meer ist. Es erfüllt mich immer mit großem Respekt und ich liebe die Vorstellung, wie die Wale in die Tiefen tauchen können und wie Pinguine riesige Distanzen auf ihrer Vogelwanderung hinter sich bringen. Aber ich schwimme doch lieber einfach parallel zum Strand.

Am Abend wird das Meer etwas ruhiger und ich kann Jens zeigen, wie man sich auf das Wasser legt ohne Schwimmbewegungen machen zu müssen. Denn nicht nur Fett schwimmt oben.

Bella domenica

18.08.2019

Der Weg nach Cortemilia ist ziemlich weit. Man fährt fast eine halbe Stunde auf kleinen, unübersichtlichen Straßen. Daher ist unsere Motivation Brot zu kaufen nicht sehr groß. Aber irgendwann muss man dann doch losdüsen. Diesmal beschließen Olav und ich die etwas längere aber komfortablere Route außen herum zu nehmen, über Vesime. Vesime liegt nur 5km entfernt, während die „Abkürzung“ nach Cortemilia 10km ist, der lange Weg über Vesime 13km.

Nach einer gemütlichen Talfahrt kommen wir über die Vesimer Brücke über den Bormida di Millesimo ins Dorf hinein. Geradeaus ist ein etwas unscheinbarer Alimentari Laden, direkt hinter der Brücke sind ein paar Parkplätze, wo wir anhalten. Wir steigen aus und befinden uns mitten im sonntäglichen Leben der Italiener. Rechts in der Bar sitzen die Männer und trinken ihren Kaffee (oder vielleicht auch ein Bier) und diskutieren die Lokalpolitik (oder die Schönheit der Tochter des Nachbarn).

Wir treten in den Laden ein. Enge Gänge zwischen den Regalen, die gefüllt sind mit allen wichtigen Dingen des täglichen Lebens. Rechts eine wunderbare Auswahl der leckersten regionalen Obstsorten, Pflaumen, Pfirsiche und mehr, bei der wir uns gleich bedienen. Wir bekommen alles, was auf unserer kleinen Einkaufsliste steht. Der Padrone und seine Frau stehen am Kopfende hinter der Theke mit Fleisch, Wurst, Milchwaren und Brot, halten ein gemütliches Schwätzchen mit den Kunden und bedienen auch uns mit hilfreichem Italienisch.

Mir fällt gerade noch „pane“ = Brot ein und schon bekomme ich eine Einführung in die Namen der verschiedenen Brot- und Brötchensorten. Wir entscheiden uns für das Ciabatta. Die Frau schneidet für eine andere Kundin dünnste Scheiben von einem hiesigen Schinken herunter und der Padrone drückt den zwei niedlichen Bambini Bonbons in die Hand. Ihr Mutter weißt sie darauf hin, dass man sich bedankt und brav sagen die beiden Jungs „grazie“ und stecken die Bonbons nicht etwa in den Mund sondern in die Hosentasche. Nur der kleinere zieht das Bonbon wieder heraus. Er ist versucht, es doch gleich zu lutschen. Aber ein verstohlener Blick zum Bruder zeigt, dass er sich doch nicht so recht traut.

Die andere Kundin verabschiedet sich mit einem lauten „Bella domenica“, und nachdem wir bezahlt haben, tun wir es ihr gleich. „Bella domenica“ – einen schönen Sonntag wünschen wir Ihnen … und wir kommen sicher wieder.

Sagra della Nocciola

17.08.2019

Wenn man an einen neuen Ort kommt, gibt es drei wichtige Dinge: Wer schläft wo? Wo finde ich was im Haus? Wo in der Umgebung kann ich mich mit allem Notwendigen und auch nicht Notwendigen versorgen? Der Tipp des Vermieters weist im dritten Punkt auf das kleine Städtchen Cortemilia.

Nachdem wir die ersten beiden Fragen einigermaßen geklärt haben, beschließen Olav und ich, noch vor Ladenschluss die Fahrt anzutreten, um für einige Sachen wie frisches Brot und Milch zu sorgen und die Einkaufsmöglichkeiten ein bisschen zu erkunden. Gesagt, getan. Über Kleinststraßen, auf denen man nicht unbedingt einem anderen Auto begegnen möchte, geht es ins Tal. Einige Kilometer weiter erreichen wir das besagte Städtchen. Was uns schon auf dem Weg auffällt ist die Menge an Haselnussbäumchen, die hier ganze Plantagen bilden. Cortemilia begrüßt uns mit Bannern über der Straße, die zum großen Haselnussfest der „Sagra della Nocciola“ einladen.

Wir sind im Piemont, im Land der Haselnüsse.

Beim Spaziergang in die Stadt hinein kommen wir an einer Kirche vorbei. Olav hat den Impuls, hinein zu gehen. Kaum betreten wir den Kirchenraum, stürmt eine Frau auf uns zu. In der Hand hält sie ein Papiertäschchen mit Prospekten und Karten. Das Programm zum Nussfest, es gibt kleine Kunstausstellungen überall in der Stadt verteilt und das Beste: heute findet der Kulinarische Spaziergang statt. Nachdem wir die Kunstwerke in der Kirche begutachtet haben, rufen wir die Kinder an, ob sie Lust haben, die Spezialitäten der Region zu probieren.

Die Straßen von Cortemilia

Eine dreiviertel Stunde später schlendern wir zu fünft durch die überfüllten Gassen. Eine Reispfanne mit Fisch hier, einen Abstecher in den Süßigkeitenladen, in dem es köstliche Nussspezialitäten gibt, etwas regionaler Wein aus dem Plastikbecher und Pfannkuchenstückchen aus Kichererbsenmehl. Bei der Band, die auf einem der Plätze spielt, tanzen wir ein bisschen Rock-n-Roll und dann sagt Olav: „Da ist schon wieder so ein Schild ‚Via fuga’. Ich möchte doch mal wissen, was das ist.“
Ich wundere mich ein bisschen, denn laut Karte ist dort der Festbereich zu Ende. Aber wir unternehmen einen kleinen Abstecher in die angegebene Richtung. Wie erwartet finden wir dort nur leere Gässchen und es gibt auch keine weiteren Hinweisschilder auf diese ominöse Straße, die Via fuga.

Nachdem wir wieder in den Trubel zurückgekehrt sind und drei Straßenkreuzungen weiter wieder auf so ein Hinweisschild stoßen, bin ich nun doch neugierig was Fuga heißt. Ist das vielleicht ein Pilz? Ach nein, das war funghi. Wir schlagen im Wörterbuch nach und bald offenbart sich, was Olav mit so viel Neugier erfüllt, dass wir den Schildern nachgehen mussten.

Via fuga heißt „Fluchtweg“. Logisch, dass die Schilder vom Fest wegweisen. Aber um die Flucht zu ergreifen, ist es noch zu früh. Erst nach einer Abschlussfahrt im Kettenkarussel machen wir uns dann wieder auf den Heimweg. Die letzten zwei Euro Wertgutschein drücken wir einen Italiener in die Hand. Als ihm klar wird, dass wir sie ihm schenken möchten, leuchtet sein Gesicht auf wie bei einem kleinen Kind, dem man Bonbons schenkt.
Mit diesem strahlenden Lächeln als Abschluss hat sich der Abend doch voll und ganz gelohnt.

Planung ist alles

17.08.2019

Wenn man eine Reise tut … das viel zitierte Sprichwort wird immer wieder wahr.

Wir sind mit zwei Autos unterwegs, zum St. Bernardino oder auch St. Bernard? Was denn nun?

Bei der Reiseplanung waren zwei Routen im Gespräch: über den Gotthard oder über den St. Bernardino. Beim Lesen von “St. Bernardino” war mir sofort klar, dass es sich um nichts anderes handeln konnte als den Pass in Graubünden. Hmm, aber wieso war dann Lausanne im Gespräch? Ach was soll’s.

Morgens um sechs stehen wir in der Küche. “Jens, möchtest du nicht doch die Wienerle selbst einpacken? Und etwas Brot dazu?” “Ach was, wir treffen uns irgendwo und dann kann ich die essen”, meint er.

Wir fahren los, vorbei am Zürisee, vorbei an Chur und telefonieren dann, wo wir uns zu einer Pause treffen könnten.

“Wir sind direkt hinter dem Pass in Messoco-Nord rausgefahren. Wo seid ihr?”
“Bei Saint Oyen, auch direkt hinter dem Pass. ”

Wie? Wo, verdammt noch mal ist Saint Oyen? Das einzige Saint Oyen, das ich finde, ist 260km weiter im Westen südlich vom Genfer See. Wo sind die denn langgefahren?

Wie sich herausstellt gibt es dort auch einen Pass der St. Bernard heißt. Der Tunnel verläuft unter dem Mont Mort. Auch nicht der schlechteste Weg von Freiburg ins Piemont.

„Dann müsst ihr wohl ohne uns Mittagsrast machen! Übrigens Jens, die Wienerle sind echt lecker!“