Zehn hoch drei

31.08.2019

Beim Frühstück verkünde ich: „Heute schwimme ich tausend Meter!“ Eigentlich ist es ein Scherz, aber einmal ausgesprochen klingt das gar nicht so übel. Ich war in den letzten Tagen nur faul, habe gelesen, gerätselt, rumgelegen und konnte mich zu nichts aufraffen.

Mit einem flachen Kopfsprung springe ich ins Wasser und schwimme los. Nur schnell an die Kälte gewöhnen, ohne Zögern. Meine Disziplin ist das Brustschwimmen. Ich gleite flach über das Wasser, mein Atem sprudelt in großen Blasen um meine Augen und Ohren. Ich ziehe meine Arme unter die Brust, beuge den Oberkörper hoch und atme tief ein. Mit einem kräftigen Beinschlag strecke ich mich wieder lang aus.

10m meines Lebens

Das Becken ist etwa zehn Meter lang. Jedes Mal, wenn ich am Rand eine Wende mache, zähle ich einen weiter. Bei Zehn lege ich einen Stein auf den Rand des Schwimmbeckens.

Ich bin gespannt, was mir so alles für Gedanken kommen werden, während ich schwimme. Ob sich mir daraus vielleicht eine Lebensweisheit erschließt. Und es kommen viele Gedanken.

Ich spüre das kühle Wasser an mir vorbeigleiten, spüre meine Muskeln, beobachte meine Bewegungen. Ich merke wie verspannt meine Muskeln in den Schultern sind, den leichten Schmerz, den die Bewegung im linken Knie auslöst (nach einigen hundert Metern ist das linke Bein gut, dafür ziept das rechte) und fange an mit der Bewegung zu spielen. Mal spanne ich die Schultermuskeln bei ihrem Einsatz bewusst an, mal entspanne ich meinen Nacken, strecke meine Halswirbelsäule. Es knackt. Statt der Wende rechts herum versuche ich die Wende links herum. Es ist eigentlich nicht Denken, sondern eher Nachspüren. Variieren. Ausprobieren. Zählen. Bei der drei in meinem Kopf schaue ich auf die drei Steine, die schon am Rand liegen und mir wird bewusst, dass ich schon auf dem Weg zum vierten Stein bin. Wenn ich zehn Steine habe, kann ich einen für die Tausend hinlegen. Das wären dann elf Steine.

Dieses bis Zehn Zählen ist einfach. Es ist nicht zu viel, nicht zu weit. Und man kann die anderen neun Male bis Zehn Zählen ausblenden. Nicht ganz, aber genug um nicht an die gesamte Strecke denken zu müssen. Zehn Bahnen zu schwimmen ist leicht. Ob ich das noch bei der achten Runde sagen werde?

Geschafft

Am Ende der sechsten Runde kommt Niklas und die siebte mache ich entsprechend gemütlicher. Ich tauche nicht den Kopf ins Wasser, unterhalte mich, mache zwischendurch Pause. Ich weiß nicht, ob ich mich verzählt habe, jedenfalls kommt mir diese Runde kürzer vor als die anderen. Zur Sicherheit schwimme ich in Runde acht zwei Bahnen mehr, könnte ja sein, dass ich mich doch verzählt habe.

Nachdem Niklas wieder weg ist, denke ich darüber nach, dass Schwimmen eigentlich ein einsamer Sport ist. Man ist mit sich, seinen Gedanken, dem Wasser und dem Blubbern um sich herum alleine, selbst wenn noch jemand anderes mitschwimmt. Ich denke auch an meine wenigen Wettkämpfe, die ich in meinem Leben ausgetragen habe. Mal abgesehen davon, dass ich immer letzte war, hat mir das nie Spaß gemacht. Dabei bin ich immer für mein Leben gerne geschwommen und habe mit Leichtigkeit die Schwimmabzeichen erschwommen.

Im Augenblick genieße ich diese Art mit mir selber alleine zu sein. Und als ich die letzten 100 Meter schwimme, indem ich besonders lange auf dem Wasser gleite, wundere ich mich doch ein bisschen, dass ich noch locker weiter schwimmen könnte.

Aber eines weiß ich jetzt wieder, was ich am Schwimmen nicht mag: diesen verschwommenen Schleier über den Augen nach dem Schwimmen. Ich sollte mir vielleicht doch mal meine eigene Schwimmbrille besorgen.

Autor: Barbara Seyfarth

Informatikerin Embedded Systeme (Automotive, Industrial Solutions) Safety + Security Certified Professional for Software Architecture (Advanced Level) Autorin